Ein Mikrokosmos unter Tage
Von Martin Jägle
In die Strecken der Bergwerke
dringt kein Sonnenlicht vor. Man sollte glauben, dass unter diesen Bedingungen
- quasi ohne Energiequelle - sich kaum Leben entwickeln könnte. Doch es gibt auch
noch andere Lebensgrundlagen, zum Beispiel die Ausnutzung chemischer Energie,
die sogenannte Chemoautotrophie
oder Chemosynthese. Vor allem Mikroorganismen nutzen
diese Lebensgrundlage und können so die Basis für ein ganzes Ökosystem bilden.
Zum Beispiel gibt es am Meeresboden viele hydrothermale Quellen (z.B. „Black Smoker“),
in denen die Chemie der Wässer Grundlage für ein sonnenlichtunabhängiges
Ökosystem ist. Andere Lebensformen „ernähren“ sich von im Wasser gelöstem
Eisen. So werden in den Ozeanen eiserne Schiffswracks - wie zum Beispiel die
Titanic - regelrecht von Bakterien gefressen. Doch
man muss nicht auf den Grund der Ozeane tauchen, um solche Exoten zu Gesicht
bekommen.
Die Wässer in unsern Stollen sickern durch die
Erzklüfte und lösen die Erze oder deren Verwitterungsprodukte auf. Dabei
reichern sie sich mit charakteristischen Mineralien an, die Bakterien als
Nahrungsquelle dienen können. So fällt zum Beispiel in den Schwefelquellen im Suggental oft
ein milchig weißer Belag auf. Er wird von Fadenbakterien gebildet, die den dort
in Spuren enthaltenen Schwefelwasserstoff verstoffwechseln
können. Bei uns in der Carolinengrube finden sich
gelöste Eisenerze, die von Bakterien gefressen
werden.
Blähschlamm, verursacht durch chemoautotrophe
Fadenbakterien, welche
Ockerpartikel am Sedimentieren hindern. Stollensohle Carolinengrube, im Querschlag beim alten Tagschacht.
Es handelt sich hierbei um
ein Gespinst von röhrenförmigen Ausscheidungen von Eisenbakterien,
vielleicht auch von Fadenbakterien wie dem „Brunnenfaden“.
Dieses ockerfarbige Gespinst verhindert, dass sich im Wasser vorhandene Partikel am
Boden absetzen. Der Blähschlamm setzt regelmäßig Entwässerungsabflüsse der Carolinengrube zu. Sie müssen entsprechend oft gereinigt
werden. Ein Grund, weshalb er in Kläranlagen nicht gerne gesehen wird. Der
Brunnenfaden war in der Geschichte schon mehrfach dafür verantwortlich, dass
die Wasserversorgung ganzer Großstädte durch Verstopfung zusammenbrach. Hier in
der Carolinengrube bilden diese Bakterien
jedoch die Grundlage kleiner Ökosysteme.
Der Ocker-Blähschlamm, hier in der Strömung, verstopft
auf der Stollensohle regelmäßig die Abflüsse.
Auf der sechsten Sohle bauen
die Bakteriengespinste in Verbindung mit Tropfwässern Sinterfahnen auf. Es ist
gut möglich, dass diese Fadenbakterien auf diese Weise eindrucksvolle Limonit-Stalagtiten aufbauen, die in anderen Bergwerken – unter
anderem in der Grube Segen Gottes in Schnellingen –
besichtigt werden können.
Probennahme auf der 6. Sohle. Der Ockerschlamm belegt
hier nur die oberste Grenzschicht zur Luft, darunter ist der Schlamm schwarz
(Bild: Katrin Schmitt).
In 400-facher Vergrößerung
zeigt sich das Gespinst eindrucksvoll im Mikroskop. Die „eingefangenen“
Ockerpartikel sind hier nicht zufällig, wahrscheinlich werden diese von den
Bakterien selbst beim Stoffwechsel gebildet, der unter anderem zweiwertiges Eisen,
das aus dem Eisenspat (Siderit, Eisencarbonat) der Grube stammt, in
dreiwertiges Eisen des Limonit umwandelt (so heißt
Eisenocker als Mineral, der Chemiker nennt es Eisenhydroxid, ist aber nur Rost).
Da dieser Limonit im Wasser weniger löslich ist, scheidet er sich als Kruste um
das Bakterium herum ab.
Die Eisenbakterien ernähren sich von Eisen. Ihre
Ausscheidungen sind hier als Gespinst zu sehen, in denen Ockerpartikel
„gefangen“ sind.
400-fache Vergrößerung.
Weiterhin sind auch eine
Vielzahl von weiteren, nicht fadenförmigen Bakterien vorhanden, zum Beispiel
Spirillen oder Kokken. Auch sind höher entwickelte Einzeller zu finden, wie
etwa Pantoffeltierchen und Geißeltierchen.
Fadenbakterien, Pantoffeltierchen und Geißeltierchen.
Hier links ist die Ockerkruste um manche Bakterienfäden schön zu sehen. (Bild:
Sebastian Busch)
Besonders eindrucksvoll zeigt
sich der Schlamm im Dunkelfeld als Gewimmel heller Einzeller.
Aufnahmen im Dunkelfeld zeigen das lebendige Gewimmel
besonders eindrucksvoll. Fast jeder dieser hellen Punkte ist ein Einzeller
(Bild: Sebastian Busch):
Darüber hinaus kommen durch
den Zerfall von Grubenhölzern auch verschiedene Pilze und Schleimpilze in der
Grube vor. Und von Zeit zu Zeit findet der Besucher in den Wässern der Schächte
Kröten vor, die aus Kaulquappen in der Grube hervorgegangen sind.
Möglicherweise bilden diese die Spitze der Nahrungskette unseres kleinen
Ökosystems in der Carolinengrube.